Gebrauchsanweisung für Brasilien by Burghardt Peter

Gebrauchsanweisung für Brasilien by Burghardt Peter

Autor:Burghardt, Peter
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper


Kurven und Planquadrate

Wer sich Brasiliens ewiger Zukunft und dem Hauptwerk des Baumeisters aus der Luft nähert, der hat vielleicht noch dieses Gefühl wie einst Juri Gagarin. Manaus, Porto Velho oder Rio Branco liegen weit abgelegen in dem riesigen Land, mitten im Urwald, aber Brasília taucht in der kargen Landschaft so unvermittelt auf wie eine Raumstation auf dem Mars. Der Kosmonaut Gagarin hatte bei seinem Besuch im August 1961 »den Eindruck, auf einem fremden Planeten gelandet zu sein«. Vier Monate vorher war der Russe als erster Mensch im All um die Erde gerauscht. Debütanten ohne Weltraumerfahrung mag es mit etwas Phantasie noch heute ähnlich gehen.

»Plan Piloto« nennt sich das irdische Grundmodell. Von oben sieht es aus wie ein Flugzeug, wobei das Stadtgebiet drum herum seit mehr als einem halben Jahrhundert ausfranst. Die autobahnartige Hauptachse Eixo Monumental ist der Rumpf der Maschine Brasília, da stehen unter anderem die hyperbolische Kathedrale, der Fernsehturm, die gleichförmigen Ministerien und die Abgeordnetenhäuser. Die gebogenen Flügel, Alas, sind Wohngebiete, die sogenannten Superquadras. Und das Cockpit bilden die wichtigsten Bundesorgane an der Praça dos Três Poderes, dem Platz der drei Mächte.

Vom Flughafen rollt man über orwellhafte Fahrbahnen in diese Kollektion von Prachtbauten, den Blick lassen die Formen nicht mehr los. Aus der Nähe wirken sie seltsam kleiner als auf Fotos und unwirklich, wie von gestern und morgen gleichzeitig, modrig und futuristisch, steril und lebendig. Brasília ist ein steingewordener Widerspruch. Die Ministerialkolosse und Superquadras sehen ein bisschen aus wie Ostberlin vor dem Mauerfall, als ob gleich Erich Honecker mit seinem Sonnenhut vorfahren würde. Der Grundriss dieses brasilianischen Experiments stammt von Lúcio Costa, das Gesicht ist von ihm: Oscar Ribeiro de Almeida Niemeyer Soares Filho, geboren am 15. Dezember 1907 und gestorben am 5. Dezember 2012 – Brasiliens Poet des schwerelosen Betons.

Wenn die Präsidentin Dilma Rousseff ihre Staatsgäste empfängt, dann tut sie das hinter segelförmigen Säulen in Niemeyers Regierungspalast Palácio do Planalto, dem Palast der Hochebene. Oder weiter hinten am See in ihrer Residenz, Niemeyers Palácio da Alvorada, dem lichtdurchfluteten Palast der Morgenröte mit den flaschengrünen Fenstern. Die Abgeordneten tagen und tricksen in den schalenartigen Halbkugeln von Niemeyers Parlament wie in Untertassen. Die eignen sich bei den beliebten Protestkundgebungen auch für kletternde Demonstranten. Dazwischen stechen zwei Niemeyer-Türme mit Abgeordnetenbüros in die Höhe. Schräg gegenüber hütet Niemeyers Oberster Gerichtshof hinter ebenfalls sanfter Fassade das Gesetz und verurteilt zuweilen korrupte Staatsdiener. Und Brasiliens Diplomatie begleitet den Aufstieg zur Weltmacht in Niemeyers Außenministerium Palácio do Itamaraty, das sich im Wasserbecken spiegelt. Das alles und noch viel mehr ist von ihm, Oscar Niemeyer, der den Raum herausforderte und bis zu seinem Tod auch die Zeit.

Das Kind Niemeyer malte mit seinen Fingern die Bucht von Guanabara und den Zuckerhut in die Luft. Der Architekt Niemeyer hatte sein Büro dann an der geschwungenen Avenida Atlântica am Strand von Copacabana, mit Blick auf den Atlantik. Beneidenswerte Lage. Was er hinter seiner Fensterfront sah, das konnte ihn unmöglich zum Freund gerader Striche werden lassen. Die schönsten Formen da draußen schlagen Bögen, und erfunden hat sie die Natur, die in Rio besonders gute Laune hatte.



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